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Ein Lebensabend hoch über den Höfen

Hof hinaus am Lebensabend
November 2025

Petra Schauf ist mit 90 Jahren die älteste Bewohnerin der Hackeschen Höfe. Wir besuchen sie in einer kleinen Dachgeschosswohnung mit Blick über die Dächer von Berlin-Mitte. Ende der 1990er-Jahre wollte sie genau hierhin – und freut sich bis heute, in den Höfen zu leben.

Petra Schauf empfängt sie uns in guter Stimmung und mit wachem Blick – obwohl sie wenige Tage vor unserem Besuch schwer gestürzt war. Prellungen bedecken eine Hälfte ihres Gesichts – das auch im hohen Alter noch seine Schönheit bewahrt hat. In ihrer barrierefreien Wohnung bewegt sie sich vorzugsweise ohne den bereitstehenden Rollator. 

Ein Wohnort mit Vorgeschichte

Die gebürtige Berlinerin zog 1998 aus dem Westen der Stadt in die Hackeschen Höfe. Dieser Schritt hatte eine lange Vorgeschichte, die bis in ihre Kindheit zurückreicht. Im Zweiten Weltkrieg war Schaufs Familie „ausgebombt” worden und durfte sich in einem Möbellager neue gebrauchte Möbel aussuchen. Erst sehr viel später erfuhr sie von ihrer Mutter, dass es sich um „Judenmöbel” gehandelt habe – Möbel jüdischer Familien, die in die Vernichtungslager deportiert worden waren. Diese Erkenntnis bewegte und prägte sie tief. Sie weckte ein lebenslanges Interesse an der Geschichte der deutschen Juden.

Dieses Interesse lenkte ihren Blick nach der Wiedervereinigung der Stadt nach Mitte, in die Spandauer Vorstadt, einst das Herz des jüdischen Lebens in Berlin. Sie entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert zum bevorzugten Wohngebiet der Berliner Juden; neben der Neuen Synagoge entstanden hier zahlreiche weitere jüdische Einrichtung

Bücher über die jüdische Geschichte Berlins und Israel in der Wohnung von Petra Schauf
Bücher über die jüdische Geschichte Berlins und Israel in der Wohnung von Petra Schauf
Diktatur und Revolution

Vierzig Jahre lang arbeitete Petra Schauf als Sekretärin an der Freien Universität Berlin, bis zu ihrem 60. Lebensjahr. Dort freundete sie sich noch vor dem Mauerbau mit Menschen an, die im Ostteil der Stadt wohnten und erlebte, wie einige von ihnen wegen ihrer oppositionellen Haltung verfolgt oder jahrelang eingesperrt wurden. Ihre Kontakte nach und ihre Verbundenheit mit Ostdeutschland überdauerten die Jahrzehnte der Teilung. 

Ebenfalls an der Freien Universität lernte sie auch einen Kreis junger Männer kennen, die damals im Asta engagiert waren und später in der Berliner CDU Karriere machen sollten, unter ihnen der spätere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Einer seiner Mitstreiter – ein unglücklicherweise bereits verheirateter, späterer Innensenator – wurde ihre große Liebe und der Vater ihres Sohnes. Petra Schauf, die als Jugendliche noch bei der sozialistischen Jugendorganisation, den Falken, „hinter der roten Fahne marschiert war”, trat in die CDU ein – und blieb ihr bis heute, seit 55 Jahren, treu. 

Die Politisierung und die Studentenunruhen Ende der 1960er-Jahre, die sie an der FU hautnah miterlebte, bestärkten sie eher in ihrer politischen Ausrichtung – obwohl sie den damaligen Anführer der revolutionären Studenten, Rudi Dutschke, privat als „freundlichen jungen Mann“ erlebte. 

Ein Neuanfang in den Hackeschen Höfen

Nach ihrer Frühpensionierung im Jahr 1998 möchte Petra Schauf sich verkleinern. Und sie möchte von Charlottenburg nach Mitte ziehen, in das Gebiet, über das sie schon so viel gelesen hat und das so eng mit der jüdischen Geschichte in Berlin verbunden ist – die Spandauer Vorstadt.

Als sie sich eines Tages in den Hackeschen Höfen umsah, spricht sie ein Mann an: „Gnädige Frau, kann ich Ihnen helfen?“ Er konnte – er arbeitete für die damalige Hausverwaltung. Und so bekam Petra Schauf ganz mühelos eine neue Bleibe an ihrem Wunschort, eine Einzimmerwohnung, die während der Sanierung der Höfe Handwerkern und Bauarbeitern als Unterkunft gedient hatte.

In den 1990er-Jahren war der Wechsel in die andere Stadthälfte noch ein großer Schritt: „Meine Freunde in Dahlem hielten mich für verrückt“, erinnert sie sich amüsiert.

Das Höfe Upgrade

Doch Petra Schauf hat diesen Schritt nie bereut. Sie fühlte sich von Anfang an wohl in den Hackeschen Höfen – und gut betreut von der Hausverwaltung. Als ihr das Gehen zunehmend schwerer fiel, bot ihr die Hausverwaltung ungefragt eine neue Wohnung an – im einzigen Aufgang der Hackeschen Höfe mit Fahrstuhl. Dort lebt sie bis heute – glücklich, trotz Gehbehinderung in den Hackeschen Höfen bleiben zu können. 

Von ihrem kleinen Balkon aus blickt sie weit über die Dächer von Mitte. „Hier verbringe ich den ganzen Sommer“, sagt sie, während sie den Blick über die Stadt schweifen lässt.